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Eine Hebamme über ihren Beruf "Magische Momente"

Sabeth Blumreder betreut sowohl Geburten in der Klinik als auch Neugeborene und ihre Eltern im Wochenbett. In ihrem Beruf muss sie einsame Entscheidungen treffen, erlebt brutalen Zeitdruck - und unfassbares Glück.
Dieser Beitrag stammt aus dem SPIEGEL-Archiv. Warum ist das wichtig?
Zur Person
Foto: Cathleen Tannert

Sabeth Blumreder, 35, arbeitet als Hebamme in Hamburg. Sie ist in Teilzeit im Kreißsaal tätig und freiberuflich als Nachsorgehebamme. Sie hat selbst zwei Kinder, im Sommer folgt das dritte, und als Hebamme hat sie bislang mehrere Hundert Mütter und Kinder bei ihrer Geburt begleitet.

SPIEGEL ONLINE: Frau Blumreder, Sie haben eigentlich zwei Jobs: Sie verhelfen Babys im Kreißsaal auf die Welt und betreuen Neugeborene und Eltern in ihren ersten gemeinsamen Tagen. Welche Arbeit ist erfüllender?

Sabeth Blumreder: Ich könnte mich nicht für eines von beiden entscheiden, beides hat magische Momente.

SPIEGEL ONLINE: Mütter erinnern sich oft ein Leben lang an die Stunden im Kreißsaal, für Sie ist das Alltag. Was berührt Sie da immer noch?

Blumreder: Es sind vor allem die Menschen, mit denen ich versuche, in der kurzen Zeit, die wir haben, eine Beziehung aufzubauen. Alle Frauen - und auch ihre nervösen Männer - sind unterschiedlich. Manche haben zwischen den Wehen viele Fragen, andere schweigen und beißen die Zähne zusammen. Wieder andere sind sehr laut und schreien, weil es ihnen hilft. Im Kreißsaal herrscht Dramatik pur, es gibt erst einige Tiefen und dann, wenn das Baby geboren ist, ein unfassbares Glück. Diese Extreme mitzuerleben und den Frauen beizustehen, das ist immer wieder toll.

SPIEGEL ONLINE: Wie finden Sie die Zeit dafür, wenn Sie mehrere Frauen gleichzeitig betreuen müssen?

Blumreder: Das ist in jeder Schicht wieder eine Herausforderung. Wenn ich im Kreißsaal ankomme, übergibt mir eine Hebamme diejenigen Frauen, deren Geburt noch im Gange ist. Wenn neue Frauen eintreffen, deren Geburt gerade beginnt, übernehme ich die auch noch. Ich gehe abwechselnd jeweils meist nur zehn, zwanzig Minuten zu jeder Frau, beruhige sie, erkläre, was sie gut macht und worauf sie achten sollte. Manchmal halte ich auch nur ihre Hand. Dann muss ich weiter zur nächsten. Außerdem muss ich Telefonanrufe beantworten und die ganze Geburt möglichst zeitnah detailliert dokumentieren.

SPIEGEL ONLINE: Was passiert, wenn eine Frau Sie länger braucht?

Blumreder: Wenn es nötig ist, bleibe ich länger - soweit es bei den anderen Geburten keine Besonderheiten gibt. Es ist für mich immer ein Hin- und Herspringen. Und das bedeutet nicht nur für mich, sondern auch für die werdenden Mütter Stress. Hinzu kommt der Druck von den Kliniken.

SPIEGEL ONLINE: Was meinen Sie damit?

Blumreder: Man lässt Müttern heute weniger Zeit für ihre Geburt im Kreißsaal als früher. Natürlich sagt niemand offen, dass da draußen schon die nächsten Schwangeren warten, aber das schwingt immer so mit. Dieser Druck geht gegen das Berufsethos von uns Hebammen, aber im Alltag können wir dagegen wenig machen: Die Geburten sind kaum noch - wie wir es uns wünschen - hebammengeleitet und arztbegleitet, sondern umgekehrt: Der Arzt oder die Ärztin leitet die Geburt, und die Hebamme begleitet.

SPIEGEL ONLINE: Was ist daran schlecht?

Blumreder: Wenn eine Geburt nicht zeitgemäß vorangeht, dann versuchen Ärzte mitunter, alles zu beschleunigen. Ich erinnere mich an eine Frau, die stundenlang in den Wehen lag, der Kopf ihres Kindes brauchte sehr lang, um durch das Becken zu gelangen. Ich war mir sicher, dass Mutter und Kind einfach noch etwas Zeit brauchten. Aber die Ärztin wollte nicht mehr warten. Dreimal hat sie versucht, das Kind mit der Saugglocke herauszuziehen, jedes Mal hat sich das Instrument wieder von der Kopfhaut des Kindes gelöst. Für die Mutter - und definitiv auch für das Kind - war das extrem stressig. Schließlich musste ein Notkaiserschnitt durchgeführt werden.

SPIEGEL ONLINE: Das ist ein Beispiel für einen sehr unglücklichen Verlauf. Sind sich Ärzte und Hebammen immer so uneins?

Blumreder: Bei vielen Ärzten hat das, was wir Hebammen sagen, glücklicherweise ein größeres Gewicht. Aber der allgegenwärtige Zeitdruck bleibt und erschwert den Frauen die ohnehin schon schmerzhafte Geburt zusätzlich. Eine wirklich umfassende Betreuung kann ich keiner Frau geben - in den anderen Zimmern warten ja die anderen. Im Wochenbett ist das ganz anders.

SPIEGEL ONLINE: Dort kommen Sie zu entspannten Eltern?

Blumreder: Das ist ganz unterschiedlich. Wenn ich an der Tür klingle, blicke ich manchmal in sorgenvolle Gesichter, mitunter warten aber auch ganz ruhige, glückliche Eltern auf mich. Ich untersuche dann das Kind und die Mutter, meist haben die Eltern ganz viele Fragen. In der Intimität der eigenen Wohnung bleibt mehr Raum für den Aufbau einer echten Beziehung vor allem zu den Müttern. Das kann mitunter intensiver sein als im Kreißsaal. Wir können in Ruhe miteinander reden, bis die meisten Sorgen ausgeräumt sind.

SPIEGEL ONLINE: Das klingt viel entspannter als die Hektik im Kreißsaal.

Blumreder: Einerseits ja. Andererseits habe ich im Kreißsaal immer meine Kolleginnen und die Ärzte im Hintergrund. Wenn es einen Notfall gibt, habe ich sofort Unterstützung. Am Wochenbett trage ich die Verantwortung alleine, und das ist manchmal gar nicht so leicht. Zurzeit betreue ich eine Mutter von neugeborenen Zwillingen. Als ich letzte Woche bei ihr war, fiel mir auf, dass eines der Kinder auffallend blass war, man sah deutlich die Gefäße unter der Haut. Als Ursache kam mir ein Herzfehler in den Sinn, das hätte allerdings schon direkt nach der Geburt auffallen müssen. Ich überlegte, die Mutter direkt ins Krankenhaus zu schicken, aber sie hatte einen Tag später ohnehin einen Termin beim Arzt. Nach einer genaueren Untersuchung des Kindes sagte ich der Mutter, sie brauche jetzt nicht ins Krankenhaus zu gehen, solle ihr Kind aber gut beobachten.

SPIEGEL ONLINE: Eine schwierige Entscheidung.

Blumreder: Absolut, ich war auch etwas nervös. Aber noch vor dem Arztbesuch hatte das Kind bereits wieder deutlich an Farbe gewonnen und alles war in Ordnung. Im Kreißsaal hätte ich ein auffälliges Kind einem Arzt gezeigt und die Sauerstoffsättigung gemessen. Im Wochenbett hingegen muss man sich oft auf sein Wissen, seine Erfahrung und seine Intuition verlassen. Diese pure Form der Ausübung des Berufes der Hebamme ist etwas, was ich sehr schätze am Wochenbett.

SPIEGEL ONLINE: Auch die Ausstattung Ihres Hebammenkoffers kann nicht mit dem High-Tech einer Klinik mithalten. Vertrauen Eltern auch alten Methoden?

Blumreder: Wenn der Teebeutel gegen den wunden Po des Neugeborenen besser hilft als eine Creme: ja. Und wenn ich das Kind mit einer einfachen Waage wiege, bei der ich es in ein Tuch lege, das ich hochhalte, auch. Diese bewährten Traditionen sind zwar alt, aber nicht veraltet. Den Blutdruck misst man ja auch seit Jahrzehnten mit einer Manschette am Arm.

SPIEGEL ONLINE: Und wie gehen Sie mit dem Kostendruck als Freiberuflerin um?

Blumreder: Das Geld, das man für einen Wochenbettbesuch bekommt, ist sehr knapp bemessen, und dann sind da noch die Wegezeiten. So wird jeder Besuch für mich letztlich wieder eine Gratwanderung zwischen der Ruhe und Zuwendung auf der einen Seite und einer überschaubaren Besuchsdauer auf der anderen Seite. Trotzdem bleibt der Beruf der Hebamme für mich einer der tollsten Berufe der Welt - sowohl im Kreißsaal als auch im Wochenbett.